Lachend werde ich von Jeany Weisheit an der Eingangstüre zum Urgeschichtlichen Museum zu einer spannenden Zeitreise zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte empfangen. Denn schon vor 40.000 Jahren war in den Höhlen am Rande der Schwäbischen Alb und natürlich im idyllischen Ach- und Lonetal so einiges los. Unsere Vorfahren haben nämlich nicht nur den, aus heutiger Sicht sicherlich sehr mühseligen Alltag bestritten, sondern sich auch kreativ verwirklicht und musikalisch ausgelebt.
Einzigartige und überraschende Steinzeitwelt
So können wir heute viele dieser faszinierenden Kunst- und Kulturgegenstände hier im Urgeschichtlichen Museum – kurz und bündig URMU genannt – bestaunen. Figürliche Darstellungen wie die Venus vom Hohle Fels, winzige Schmuckperlen und auch die filigranen Musikinstrumente scheinen nämlich auf den ersten Blick gar nicht zu unserm Bild vom einfach gestrickten, grobschlächtigen Steinzeitmenschen zu passen und auch ich muss nach dem Rundgang durch das Museum meinen vorherrschenden Eindruck über die einstigen Jäger und Sammler hier im Schwabenland revidieren.
Stolz zeigt mir Jeany, die u.a. auch für die Sonderausstellungen im URMU verantwortlich ist, zu Beginn unseres Rundgangs Fotos von verschiedenen Eiszeitvögel auf ihrem Handy und erzählt mir, dass sie gerade mit den Kollegen an der nächsten Ausstellung arbeitet und hierfür zig verschiedene Vögel als Replik aus Mammutelfenbein geschnitzt werden. „Hier kommt mir natürlich meine Ausbildung als Goldschmiedin, die ich vor dem Studium in Kunstgeschichte und Ethnologie abgeschlossen habe, zugute. Aber es ist echt schwierig das Elfenbein mit den Originalwerkzeugen zu bearbeiten. Die Menschen damals haben unglaubliches geleistet und sehr präzise gearbeitet.“
Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich solch filigrane, teils kaum einen Fingernagel große Objekte mit den Werkzeugen von damals herstellen könnte. Ich habe mich ja schon mit dem im Vergleich zum Mammutelfenbein einfach zu bearbeitenden Anhänger aus Speckstein, den ich im Rahmen des Video-Drehs mit dem ZDF für die Sendung „Hallo Deutschland“ in der SteinZeitWerkstatt bearbeitet hatte, schwergetan und trotz aller Vorsicht ist mir das erste Exemplar gleich mal zerbrochen.
Rundgang durch das Museum – Wo der Mensch wurde
Das Museum in einem schmucken Fachwerkhaus aus dem 15. Jahrhundert, dem ehemaligen Heilig-Geist-Spital, erstreckt sich heute über komplett zwei Ebenen des historischen Gebäudes. In diesem war noch bis im Jahr 2008 ein Altersheim untergebracht und das URMU beschränke sich auf wenige Exponate in ein paar Räumen, obwohl es ja seine Pforten bereits in den 1960er-Jahren interessierten Besuchern geöffnet hatte.
Nach dem Start der Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen ab dem Jahr 2012 wurde auch hier ein modernes und vor allem zeitgemäßes Museumskonzept umgesetzt und so hat heute jeder Raum sein eigenes Farb- und Lichtkonzept und nimmt den Besucher auch bei den Erläuterungen zu den Exponaten auf eine kurzweilige Zeitreise mit. Die Zeiten mit allzu abstrakten wissenschaftlichen Erläuterungen an den Exponaten und der Prämisse auf keinen Fall etwas anzufassen gehören, da sind Jeany und ich uns einig, zum Glück der Vergangenheit an. Jetzt stehen nicht nur für die jungen Museumsbesucher Mitmachen und Entdecken im Vordergrund.
Was den Museumsshop im Eingangsbereich betrifft, mussten wir beide lachend feststellen, dass wir gerne und lange nach einem Museumsbesuch in einem gut sortierten Shop stöbern und ich für meinen Teil als Postkarten- und Magnetesammlerin auch gerne das ein oder andere Erinnerungsstück erstehe. Der Shop mit Café markiert den Beginn und das Ende des gut ausgeschilderten Rundgangs. Hier im Erdgeschoss bilden die alten Balken und teils erhaltenen Malereien des mittelalterlichen Gebäudes zusammen mit den modernen Stahl- und Holzelementen ein wunderbares architektonisches Spannungsfeld.
In den ersten Räumen erfährt man als Besucher dann auch so einiges über den Alltag und das Konsumverhalten unserer Vorfahren vor 40.000 Jahren, die als Komplettverwerter ihrer Jagdbeute und als Experten bei der Verarbeitung- und Veredelung der Werkstoffe Stein und Holz so gar nicht „steinzeitlich“ unterwegs waren. „In den Filmen siehst du übrigens meine Kollegen, Barbara und Johannes, vor der Höhle am Lagerfeuer sitzen“, meint Jeany grinsend und zeigt auf die Multimedia-Installationen an der Wand.
Mich interessiert natürlich auch, was eine Ethnologin in einem Schwerpunktmuseum für altsteinzeitliche Kunst und Musik, welches seit dem Jahr 2012 auch Zweigmuseum des Archäologischen Landesmuseums Konstanz ist, so macht und wo die Berührungs- bzw. Anknüpfpunkte zwischen der Ethnologie und der Archäologie liegen. „Das Themenfeld der Ethnologie untersucht ja Gesellschaften heutzutage und versucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede menschlicher Lebens- und Denkweisen zu verstehen und vor allem zu beschreiben. Diese Erkenntnisse dienen oft als Anknüpfpunkt, um die Bedeutung archäologischer Funde einordnen und bewerten zu können.“
Zwischenzeitlich haben wir auch die Ausstellungsräume in der die Doppellochperle, eine der kleinsten, aber auch populärsten Exponate hier in der archäologischen Sammlung, erreicht und Jeany erzählt mir von ihrer Leidenschaft für Schmuck und dass sie für ihre Masterarbeit über dieses Thema ein halbes Jahr in Kirgisistan vor Ort gelebt und gearbeitet hatte. „Ein wahnsinniges Erlebnis, ich habe so viele tolle Erinnerungen an diese Zeit. Schmuck war und ist ein Spiegel der Gesellschaft und sagt viel über die Stellung seines Besitzers in ihr aus. Bei Schmuckstücken wie den filigranen Doppellochperlen, die nur hier – quasi vor unserer Haustüre – im Aach- und Lonetal hergestellt wurden, handelt es ich also um einen ganz besonderen archäologischen Fund.“
Rundgang durch das Museum – Kultur und Kult
Bei unserem weiteren Rundgang im Obergeschoss des Museums kommen wir schnell vom lieben Thema Schmuck zum eigentlichen Star der Ausstellung, nämlich einer Frau, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden ist und die jetzt in einem der thematisch gestalteten Räume ihre Heimat gefunden hat. Die Venus vom Hohle Fels ist dabei als weltweit älteste Darstellung des menschlichen Körpers so mysteriös wie inspirierend. Unklar ist, ob die Venus einfach nur als Anhänger oder auch als Amulett getragener Talisman, der die Furchtbarkeit beschwor, getragen wurde.
Die bekannteste und wissenschaftlich wahrscheinlichste Theorie über ihre Symbolik ist jedoch die der Nährmutter und Mamma, die schon ein Kind ausgetragen hat, erzählt mir Jeany. „Schaut man sich die Figur näher an, erkennt man neben den großen evtl. mit Milch gefüllten Brüsten auch Steifen bzw. Ritzungen, die auf die Schwangerschaftsmonate hindeuten könnten. Die stilisierte, offene Vulva könnte zudem ein Hinweis auf eine vor kurzem stattgefundene Geburt sein. Aber letztendlich ist auch diese Theorie natürlich nicht vollständig belegbar.“
Da ich selbst Mutter bin und meinen kleinen Sohn auch rund ein Jahr gestillt habe, finde ich das natürlich eine wundervolle Vorstellung, wobei natürlich zu bedenken ist, dass in den Jäger- und Sammlergesellschaften vor 40.000 Jahren die Kinder aus praktischen Gründen wahrscheinlich viel länger gestillt wurden als bei uns heutzutage. Auch das Thema Kindersterblichkeit und die Ernährung der
Säuglinge hatten sicherlich einen ganz anderen Stellenwert, spielte die Frau doch als Alleinversorgerin des Nachwuchses für den Erhalt der Gruppe eine weitaus größere Rolle als heutzutage in der Zeit von Regalen voller Hipp- und Alete-Babynahrung.
Für mich gab es hier in den stimmungsvollen Räumen, die sich mit den Hauptakteuren auf unserem blauen Planeten, nämlich den Menschen und Tieren und ihrer Stellung und Darstellung beschäftigen, auch eine kleine Überraschung zu entdecken. Ich wusste nämlich bis dato nicht, dass der im Ulmer Museum ausgestellte Löwenmensch einen kleinen Bruder hat und dieser hier im URMU zu bestaunen ist.
Als Bewunderer des großen Löwenmenschen, der durch seinen Entdecker fest mit dem Ulmer Museum verbunden ist, muss ich Jeany natürlich fragen, welche der beiden Darstellungen – die Venus oder der große Löwenmensch – bedeutender ist und ob man hier überhaupt einen Art Vergleich ziehen kann. „Das ist eine gute Frage, ich würde aber sagen, dass sich beide Objekte von ihrer technischen Ausarbeitung nicht viel nehmen und beide gleichermaßen faszinierend sind. Im Gegensatz zur Venus ist der Löwenmensch ja nicht vollständig. Es wurden zwischen 2008 und 2013 bei Nachgrabungen nämlich noch weitere kleine Fragmente entdeckt, die ihm letztendlich zugeordnet werden konnten. Objekte in dieser Größe aus Mammutelfenbein werden oft nur zerbrochen gefunden, da sie durch das lange Lagern in der
Erde und den Druck, der durch die über Jahrtausende wachsenden Erdschichten entsteht, beeinflusst werden und Schaden nehmen.“
Rundgang durch das Museum – Musik, Musik, Musik
Natürlich dürfen in einem Schwerpunktmuseum für altsteinzeitliche Kunst und Musik die Musikinstrumente nicht zu kurz kommen und so sind hier im Obergeschoss diesem Thema gleich mehrere Ausstellungsräume gewidmet, wobei die sensationellen Funde der Knochen- und Elfenbeinflöten natürlich das Herzstück der Sammlung bilden. Die Flöten wurden allesamt in den Steinzeithöhlen entlang dem Aachtal, sprich im Hohle Fels und im Geißenklösterle, gefunden und zählen zu den ältesten Musikinstrumenten der Menschheit.
Natürlich kann auch dem Klang der Flöten aus Gänsegeier- und Schwanenknochen sowie Mammutelfenbein gelauscht werden und man kann in die zeitaufwändige Transformation vom Knochenrohmaterial zum filigranen Instrument eintauchen. „Die Lieder wurden jetzt auch für die im Winter 2021 neu gestaltete Ausstellung von einer professionellen Flötistin eingespielt,“ meint Jeany stolz. Ich erfahre außerdem, dass immer wieder neue Flötenfragmente in den Steinzeithöhlen bzw. in noch nicht ausgewerteten Funden entdeckt werden könnten. Vielleicht wird so ja die Flötensammlung hier im URMU bald zu einem richtigen Flötenorchester. Wer die steinzeitliche Flötenmusik mit allen Sinnen erleben möchte, der kann zudem bei einem kleinen Tänzchen in der Steinzeit-Disko, einem eigens installierten Tanzraum, die Hüften schwingen.
Der Rundgang schließt mit zwei weiteren Themenfeldern, einmal dem Jenseits und zum anderen dem steinzeitlichen Farbenrausch, sprich der Gewinnung von Pigmenten, wie ich finde, sehr gelungen ab. Die Räume sind farbstark gestaltet und der Wasservogel als Sinnbild eines Seelenvogels ist mit einer Multimediainstallation, fliegend in einem blau-türkisenem Himmel oder aber eintauchend in den Blautopf, eindrucksvoll in Szene gesetzt. Denn wer weiß, was nach dem Diesseits hier auf der Erde noch kommt und vielleicht glaubten die Menschen in der Steinzeit ja auch, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist – aber, wer weiß das schon…
Museumsbesuch im Hier und Jetzt
Wenn ihr jetzt auch Lust bekommen habt das URMU zu besuchen und einen Ausflug nach Blaubeuren zu unternehmen, dann schaut doch auch mal auf der am Ende des Beitrages verlinkten offiziellen Homepage des Museums vorbei. Dort könnt ihr euch u.a. über aktuelle Aktionen und Führungen und die Höhlen, sowie die Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb, die übrigens auch im Jahr 2017 in die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen wurde, informieren.
Für einen Familienausflug mit Kindern im Grundschulalter kann auch ein Mitmach-Set für den Rundgang, dass das damalige Leben aus Sicht des sechsjährigen Steinzeit-Kindes Keram erzählt, gegen einen geringen Obolus erworben werden. An den Wochenenden von April bis Oktober kann man zudem die SteinZeitWerkstatt getreu dem Satz „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können“ (Konfuzius) mit einem abwechslungsreichen Programm und mit allen Sinnen entdecken.
Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich Jeany Weisheit für ihre Zeit und Geduld meine ganzen Fragen zu beantworten und natürlich dem gesamten URMU-Team für den Blick hinter die Museumskulissen.
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