Unterwegs in Estland

Nachdem wir bereits seit knapp zwei Wochen unterwegs sind haben wir Estland nun den Rücken gekehrt und uns entlang der russischen Grenze nach Lettland aufgemacht. Wenn ich ein kurzes Zwischenresümee ziehen müsste würde ich sagen, dass der Urlaub hier oben im Baltikum der Entspannendste und Unkomplizierteste seit langem war. Jetzt in der Vorsaison sind wenige Touristen unterwegs und als Zelter ist man eh oft alleine auf weiter Flur. Auf dem ein oder anderen Platz muss man auch noch den Besitzer telefonisch kontaktieren, da die Rezeption noch nicht dauerhaft besetzt ist. In der Hauptsaison wird die Sache sicherlich ein wenig anders aussehen und manche der Sanitäreinrichtungen auf den Plätzen (Toiletten und Duschen, etc.) werden kapazitätsmäßig recht schnell an ihre Grenzen kommen. Mit dem Wetter hatten wir bisher mehr als Glück, jeden Tag blauer Himmel und zwischen 25 und 30 Grad. Auch das ist im Baltikum nicht selbstverständlich um diese Jahreszeit.

Ich hoffe ich habe euch mit dem Beitragstitel nicht verwirrt 😉 . Wir haben uns nämlich auf unsere Route nach Litauen, genauer gesagt nach Vilnius, immer mehr oder weniger entlang der russischen bzw. weißrussischen Grenze bewegt. Vilnius wird auch als „Jerusalem des Nordens“ bezeichnet, da die liberale Stadt über Jahrhunderte hinweg als Zufluchtsort für verfolge Menschen des jüdischen Glaubens diente. Aber bis nach Vilnius ist es ja noch ein langer Weg 😉 . Zuerst verweilen wir nochmals im wunderschönen Estland und zwar in der zweitgrößten und wichtigsten Universitätsstadt des Landes: Tartu.

Hier merkt man schon nach wenige Schritten das man in einer typischen Studentenstadt angekommen ist: es wird gelacht, viel getrunken, die Cafés sind voll mit Menschen die gefühlt 10 Jahre jünger sind als man selbst und das ganze vermittelt einen heitern, ungezwungen und ein Stück weit sicherlich auch alternativen Eindruck. So ganz anders als in Tallinn mit den vielen (verbissenen) Touristen, die versuchen während ihrem kurzen Landaufenthalt möglichst viel zu erleben und dabei den Blick für die Menschen und ihrer Umgebung fernab ihrer Handykamera komplett verloren haben.

Wir haben uns ein wenig in der Innenstadt und rund um den Rathausplatz mit dem Brunnen mit den „Küssende Studenten“ umgesehen. In Tartu können mehr als 30 Museen besichtigt werden, wobei das estnische Nationalmuseum zu den Topattraktionen gehört. In den Gassen rund um das rosa Rathaus befinden sich natürlich unzählige Straßencafés und Bars, sowie kleine Läden mit viel Handgemachtem. Wenn ihr nicht so spät am Nachmittag wie wir in der Stadt ankommt, müsst ihr unbedingt noch in der Markthalle vorbeischauen. Ich wäre irgendwie gerne noch länger als einen Nachmittag in Tartu geblieben, weil mir der Flair der Stadt so gut gefallen hat, aber der Urlaub ist ja bekanntlich nicht unendlich lange. Daher sind wir (leider) auch recht zügig in Richtung der lettischen Grenze weitergefahren.

Dazu kam, dass wir auf den Weg nach Tartu am Peipus See eine Reifenpanne hatten. So habe wir ein paar Stunden „verloren“, die wir leider beim Besuch des Städtchens aufholen mussten. Aber zum Glück hat uns der ADAC schnell geholfen und der Pannendienst aus Tartu kam bereits nach weniger als 2 Stunden und hat unser Dusterle wieder fahrtüchtig gemacht. Ihr denkt jetzt vielleicht zwei Stunden seien eine lange Wartezeit, wenn man aber seinen Standort nur mit Koordinaten angeben kann weil es keinen Ort und auch keine Straße gibt ist das doch letztendlich mehr als nur OK 🙂 .

Wir haben auf bisherigen und kommenden Route nach Vilnius natürlich auch ein paar Mal übernachtet und sind nicht durchgefahren. Die zugehörigen Links zu den Campingplätzen und eine paar Camping-Impressionen findet ihr am Ende des Artikels.

Unser nächster Halt war Marienburg, im äußersten Nordosten von Lettland. Der Ort war bei mir im Reiseführer nicht erwähnt, ich dachte mir nur „Oh, ein größerer Ort an einem See, das könnte ja ganz nett sein um sich ein wenig umzusehen“. Gesagt getan und ich möchte an dieser Stelle auch ganz ehrlich mit euch und evtl. auch ehrlicher mit euch sein als es der Reiseführer ist. Die drei baltischen Länder sind abseits der Küste noch weniger touristisch Erschlossen und die Sehenswürdigkeiten sind nicht besonders üppig gesät. Das empfinde ich keineswegs als Negativ, es ist einfach nur eine Tatsache und man kann manche Innenstädte die zwar nett und ansprechend sind, mangels Alternativen, auch versuchen auf drei Seiten im Reiseführer „groß zu schreiben“. Das will ich an dieser Stelle nicht tun, für einen kurzen Zwischenstopp oder ein Picknick am Seeufer ist Marienburg perfekt – aber auch nicht für mehr.

Was mich nicht nur auf unserer Fahrt durch Lettland, sondern auch schon in Estland total fasziniert hat: auf jedem Turm und auf jedem Kamin sitzt ein Storch in seinem Nest. Wir hatten ein paar Mal das Glück auch die kleinen Storchen-Babys zu sehen 🙂 und konnten auch die Eltern beim klappern und füttern beobachten.

Im Südosten Lettlands befinden sich noch zwei sehr interessante Städte, in denen es nicht nur im Namen ein „Pils“ (Schloss) gibt: Jēkabpils und Daugavpils. In Letzterer sind sogar zwei Städte in einer vereint – eine Garnisonstadt in einer sehr beeindruckenden Zitadelle und die eigentliche Stadt die die größte überwiegend russischsprachige Stadt in der EU ist. Bevor wir aber in Daugavpils auf den Markt gehen und uns ein wenig am Bahnhof und auf dem Kirchenberg umsehen machen wir noch kurz einen Ausflug nach Jēkabpils. Hier kann neben dem namensgebenden Schloss auch das orthodoxe Kloster in der Innenstadt besichtigt werden.

Die lettische Region entlang der östlichen Außengrenzen der europäischen Union heißt übrigens Latgale und wird manchmal auch mit einer Reise durch Russland verglichen. Das kann ich an dieser Stelle jetzt nicht wirklich beurteilen, jedoch sind eine Allgegenwart russisch-orthodoxer Kirchen und die starken Verbreitung der russischen Sprache eine Tatsache, die mir als Tourist schon nach kürzester Zeit aufgefallen ist. Von der regionalen Hauptstadt Daugavpils sind es zwar nur drei Stunden Autofahrt nach Riga, gleichzeitig aber auch keine 30 Kilometer bis nach Weißrussland und wie so oft verschmelzen hier der Westen und der Osten in einem interessanten Mix der Kulturen und Architekturen. Ich empfehle euch daher auf jeden Fall auch der Innenstadt und nicht nur der touristisch bekannteren Zitadelle einen Besuch abzustatten.

Die Zitadelle ist in Wirklichkeit eine waschechte Zarenfestung die zwischenzeitlich zu einer militärischen Geisterstadt wurde und mich in ihren Bann gezogen hat. Die breiten leeren Straßen, die Häuser, der große Exerzierplatz und die hohen Wälle – ein Platz für tausende Soldaten und der Demonstration der Macht der russischen Zaren. Heute ein Platz des Zerfalls und der Frage, wie man mit den zur Verfügung stehenden finanziellen (EU) Mitteln am besten die Gebäude in standhalten kann. Vor ein paar Jahren wurde daher mit den Restaurationen begonnen und u.a. in einem der Gebäude eine dauerhafte Kunstausstellung des bekannten lettischen Künstlers Mark Rothko untergebracht. Auch neuer Wohnraum wurde geschaffen und Bauten, wie der Wasserspeicher, komplett renoviert. Obwohl die Festung in ihrer Art einzigartig in Osteuropa ist bezweifel ich irgendwie, dass sich die Kosten irgendwann amortisieren werden. Ihr mögt jetzt denken „Ach die Stefi, die alte Schwarzseherin …“ aber ich denke wirklich, dass es schwierig wird (viele) Touristen aus anderen Ländern bis an die weißrussische Grenze zu locken um dort eine Zitadelle zu besichtigen, die anderswo in Europa in eine ähnlichen Dimension existiert. Ich denke da spontan an die unzähligen Festungen von Vauban in Frankreich oder auch an die Bundesfeste in Ulm. Aber nun gut, vielleicht werden ich in eine paar Jahren eines Besseren belehrt.

In der Innenstadt lohnt es ich in der Nähe der Markthalle zu parken und diese auch zu besuchen. Ich war in meinem Leben noch nie in so großen Markthallen in denen von Schuhen, über Kleidung, über Schmuck und Lebensmittel verschiedener Art wirklich alles angeboten wurden. Ich fand es hier noch imposanter und interessanter als in den Markthallen in Riga, weil hier wirklich alles Indoor untergebracht ist und viel der Händler nur einen paar Quadratmeter großen Laden oder eher Kabuff als Verkaufsfläche zur Verfügung haben. Leider kann ich euch keine Bilder zeigen, ich war mehr mit schauen und Schuhe kaufen beschäftigt. Auch das geht hier vorzüglich mit Händen und Füßen, mein Lettisch und Russisch sind nämlich immer noch sehr schlecht 😉 . Es war auch irgendwie witzig zu sehen – ich hatte beim Warten auf meinen zweiten Schuh viel Zeit das Geschehen im Laden zu beobachten – dass die Schuh- und Klamottenläden von einer zentralen Stelle bzw. aus einem zentralen Lager die Waren beziehen und daher auch das einzelne Angebot nahezu identisch ist.

Ein weiterer interessanter Ausflug ist der auf den Kirchenhügel auf dem sich vier Kirchen von vier Konfessionen befinden. Ich empfehle euch die Strecke mit Start in der Fußgängerzone, durch den Centrālais parks und über die Bahngleise, zu Fuß zurückzulegen. Warum? Weil man so am meisten von der Stadt und ihren Einwohnern in sich aufsaugen kann und die Bahnanlagen aus Sowjetzeiten echt ein wenig gruselig aber auch sehenswert sind. Alte und verfallene Bahnanlagen mit Grafit-Verschönerungen haben halt immer was besonders für sich 😉 . Beim Überqueren vermeintlich alter oder stillgelegter Gleise ist jedoch vorsichtig geboten, manche sind nämlich noch stark befahren.

Labanoro Regioninis Parkas

Die Natur hatte uns im Labanoro Regioninis Parkas, einem Naturschutzgebiet welches nur eine Stunde von Vilnius entfernt liegt, dann wieder. Hier hatten wir, nach der schönen Zeit in den vielen interessanten Städtchen, einen tollen Platz für unser Zelt am Ufer des Baltiej Sees gefunden und den Abend genossen. Ich liebe es ja tagsüber unterwegs zu sein, am Abend freue ich mich aber immer auf das Zelt und auch schon auf den nächsten Morgen mit leckerem Kaffee und Keksen 🙂 .

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